Dienstag, 9. April 2019
Spitteler. – Seit Wochen versuche ich rauszubekommen, was die Leute, die Spittelers Werke zu reanimieren versuchen, zu eben diesem Versuch bewegen mag (ausgenommen die in den bekannten Reden ausgedrückte aufrechte Gesinnung). Wie ist Prometheus, wie ist Extramundana, wie ist der Olympische Frühling in die heutige Zeit herüberzuretten? Wer wird die endlosen (gleitenden und hinkenden) Jamben- und Trochäengebilde ernsthaft lesen wollen? Wer erklärt mir die vorbehaltlose Begeisterung eines Widmann, eines Jonas Fränkel?
Lange blickte sinnend der Geliebte,
Weil er in den Tiefen seines Geistes
Feinen Denkens die verschlungne Wahrheit
Auseinander suchte und zerteilte.
Ich halte mich vorläufig ein weiteres Mal an Johann Peter Hebel: «Wohl bekomm's, wem es schmeckt!»
Mittwoch, 10. April 2019
Von den vielen Küssen schwand ihr Atem,
Und errötend bog sie weg das Antlitz.
(Felix Tandem: Extramundana. Kosmische Dichtungen. 1883)
Donnerstag, 11. April 2019
Warum bloss erinnern mich solche Tandem-Spitteler-Verse immer mal wieder an Wilhelm Busch?
Da schürzte Hades seinen Mantel: „Also ich!"
Und selber in den Kerker nun begab er sich.
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Danach gerieten sie auf eine Alpenweide,
Mit kurzen Gras gepolstert und geringer Heide.
Kein Baum in Sicht, kein Busch noch Bächlein im Bereich.
Soweit das Auge schweifte, alles glatt und gleich.
Freitag, 12. April 2019
Tandem Spitteler. – Es könnte ja, vielleicht am Schluss geschehn, dass ich mein Urteil revidieren muss. All diese skurrilen Bilder, vorgetragen in erbarmungslos alternierendem Versmass – sie schiessen zu einem Panoptikum zusammen, das, wenn man lange genug darin herumstolpert, seinen eigenen Sog zu entfalten beginnt. Bis man wieder auf eine jener Banalitäten stösst, die, zu hohem Stil emporgedrechselt, heiss-schwüle Luft ausdünsten.
Montag, 15. April 2019
Schon wieder. – Es ist so weit. Vollkommene Abbitte leiste ich. Ich sehe, ich gestehe ein: Ich hab ihm völlig unrecht getan. Das ist ein Täter, ein Tyrann im Wort, der sich sein Tun durch keinen Tadel, durch kein Lob vermiesen lässt. Gerade der Zwang des Metrums (da-däm-da-däm-da-däm), das Kindische des Paarreims sind es vielleicht, die ihn zu den verrücktesten Kapriolen anstacheln – und diese ihm überhaupt erlauben. Zum Heulen manchmal, zum Totlachen ein anderes Mal. "Jeder Bewegungszug ein schweigender Gesang". Eine Klistierspritze jedenfalls gegen die Darmverstopfungen durch die heutigen Roman - und Sachbuchwälzer.
Aus Spitteler/Tandems Verbarium (beliebig zu verlängern):
dummdicke Welt |
Teufelsdaimonsweibesbosheit | demutköniglich |
Sommervögeldörfer | Ratsherrnschwatzgeplapper | zehenzappelnd |
Menschenkörperfall | Daimonsmarterschuhzeug | hügelkranzumkettet |
Wasserdonnertanz | Strahlenschimmertanz | siegessonnenlichtdurchglänzt |
Faustgefährlichkeiten | Volkszusammenlaufes Füßescharren | donnerlämrumtäubt |
Stimmenlärmgeräusche |
der schwarzen Wahrheit augenloses Mörderhaupt | verzweilfungsnachtdurchgraust |
Freitag, 10. Mai 2019
Diese Nacht habe ich vom Roche-Turm geträumt. Vielmehr: von meiner Schwiegermama (93). Ich weiss nicht, wie sie auf die Idee kam. Sie hat eines der schräg gestuften Stockwerke des Turm verschoben. Schräg nach rechts gerückt. Wie bei einem Lego-Bau. Es ging ganz leicht. Sobald sie herausgefunden hatte, dass ihr das Spiel gefiel, ging es ganz leicht, mal rechts, mal links.Einige waren, als sie es sahen, empört. Andere fanden es hübsch und sagten, dass es dem Turm nicht schaden könne. Das halbe Altersheim nahm daran teil.
Ich überlegte, dass man ein Projekt daraus machen könnte. Ein Startup. Omas als Etagenrücker. Das wird der Hit. Selbst unser Bankerfreund wird das unterstützen müssen. Ich erwachte mit einem Glücksgefühl.