Donnerstag, 27. Oktober 2016
Nachtrag: Chinesische Theatralik. – Auftritt im "Garten der Zufriedenheit". VIDEO abspielen
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Schon nähert sich der Oktober seinem Ende – Die Verlockung war groß, zu sagen: "Der Monat geht zur Neige" und gleich noch anzufügen: "Die Tage sind gezählt" –, und noch immer schreibe ich unter der September-Spalte. Der Oktober ist dieses Mal der Monat, der mir 'die Früchte des September einfahren' soll, und ich kann keine Zäsur dazwischen brauchen. Ich lasse mir meine China-Reminiszenzen nicht durch einen Monatswechsel verpfuschen. Das Dossier ist noch nicht 'abgelegt'. – Es gibt Verlage, die auf ihrer Website unter "Aktuelles" immer noch Bücher aus dem Jahr 2015 aufführen. Vielleicht sind diese Verlage eingegangen, oder sie können es sich inzwischen nicht mehr leisten, ihre Homepage betreuen zu lassen, oder sie halten einfach "mental" nicht mehr mit. Vielleicht aber sind ihre Bücher, inbegriffen die "Ladenhüter", von unvergänglicher Aktualität – wie eben auch meine tagebüchlichen Verlautbarungen, die wohl einzig davon leben, dass sie für niemanden und nichts notiert sind.
Früher, sehr viel früher und für einige Jahre nur, setzte ich meine Hoffnung auf die Philosophie. Ich glaubte (oder wollte glauben), sie würde nicht nur meine Fragen an das Leben beantworten, sondern mich auch lehren, diese Fragen richtig zu stellen. Heute, da ich weder an Antworten noch an richtiges Fragen glaube, bevorzuge ich den Hof des Mehrdeutigen, Unbestimmbaren, der alle Dinge (auch die "geistigen", sofern man ihnen nicht barbarisch auf die Pelle rückt), umgibt. Deshalb wohl mag ich auch Biographien und Autobiographien nicht, die vorgeben, sich selber verstanden und die anderen durchschaut zu haben.
Klammer auf: Am schlimmsten aber sind (mir) die Alleswisser, die den Hof des Nichtbegriffenen mit Unmengen von Gewissheiten zupflastern! Klammer zu.
Das Unappetitliche an der Dummheit ist ja nicht ihre Dummheit, sondern die Borniertheit, mit der sie sich für gescheiter als die Gescheiten hält. – Gewiss bin ich nicht der erste, dem das auffällt. Das macht die Sache aber nicht unwahrer. Und wieso komm ich immer drauf, wenn ich dem ostentativen Grinsen begegne, mit dem vor allem die Repräsentanten einer bestimmten Partei bei öffentlichen Debatten ihre Argumente zu unterstreichen pflegen?
Punkto Kannibalismus. – Am eindrücklichsten wohl hat sich der chinesische Schriftsteller Lu Xun über die Menschenfresserei ausgelassen. Das Tagebuch eines Verrückten ist wirklich verrückt. Kein Mensch, sei es Feind, Freund, Mutter oder Schwester, der nicht auf Menschenfleisch aus ist. Außer die Kinder vielleicht, die ungeborenen jedenfalls: "Rettet die Kinder …"
Lu Xun werden in China Museen und öffentliche Parks geweiht. Man stelle sich das in der Schweiz vor! Gestern sah ich im Tram, neben dem Reservationsschild für Schwarzfahrer mit eingeschränkter Mobilität das Warnschild: Kannibalismus verboten. Bei Zuwiderhandlung wird eine Buße von Fr. 50.- erhoben." Oder war's vorgestern? Oder etwa nur im Traum?
(Übrigens verliert Lu Xuns Text, als politische Parabel interpretiert, sofort das unfassbar Bedrückende, das doch seine literarische Besonderheit ausmacht. Das gilt im übrigen nicht nur für chinesische Literatur).
Aufgeschnappt: "Galaktischer Kannibalismus". Das ist, wenn Systeme wie die Milchstraße kleinere Wesen (Sterne etc.) sich einverleiben und so wachsen und wachsen, bis es nichts mehr zu fressen gibt. So etwa stell' ich mir das vor.