Dienstag, 29. Januar 2019
Tagebuch. – Ich habe in meinem eigenen Tagebuch gelesen. Nicht im aktuellen hier, sondern in einem früheren, "privaten", das keine fremden Blicke mag. Ich lese und veröffentliche Tagebücher fremder Autoren, schüttle den Kopf, entsetze mich, will dem Kerl meine Freundschaft aufkündigen – und finde das Schrecklichste in meinen eigenen Notaten wieder. Nie hätte ich gedacht, dass es so um mich stand. Die Zeit, meine Erinnerung haben mich schöngeredet. Ich will nicht mein eigener Nachlass werden. Ich will mein letzter Leser sein!
Montag, 28. Januar 2019
Lyrik-Festival. – Super, dass es sowas gibt. Ist mir lieber als das WEF. Vielleicht ist es sogar auch ein wenig wichtig. Wenn auch nicht so wichtig wie zum Beispiel …
Lyrik ist das schlechte Gewissen der Prosa. Das hat vielleicht mal jemand gesagt, der es wissen musste. Auf solche Sätze kommt man nur, wenn man Prosa schreibt, was aber kein Plädoyer für die Prosa ist.
Trotzdem: Auch ich habe, wie viele andere, Mühe mit der Lyrik. Jedenfalls, wenn sie gesprochen wird. Dann zerbröselt die Dichte, die das Gedicht als Einheit für sich behauptet, in eine Abfolge von Einzelmomenten. Auf diese konzentriert, entschwindet mir das Ganze aus Gehör und Blick. Ich scheitere. Jeder Gedichtvortrag bedeutet meinen persönlichen Schiffbruch. Nach einem Dutzend Versen steh ich als Robinson da, der sich ans Gesicht, ans immer hübscher werdende Gesicht der Vortragenden (wenn's eine Frau ist) klammert.
Vielleicht tröste ich mich über das Desaster hinweg, indem ich die Prosa kleinrede. Weil sie verständlich tut. Weil sie sich dicke Bücher anmasst. Weil sie die die Regale füllt. Weil sie die Bestsellerlisten okkupiert. Weil sie die Literaturgrüppchen nährt. Weil sie …
Es lebe die Lyrik! Nieder mit den Bestsellern!
Donnerstag, 24. Januar 2019
Narrativ. – Das Unwort des letzten Jahrs. Treibt seine Blüten auch 2019. Spiegel-Interview mit dem Wirtschaftsnobelpreisträger 2013: "gefühlte" (auch das ein Unwort) zwanzig Mal wird – beiderseits – das "Narrativ" strapaziert.
- "Es klingt also schlecht. Auch im Sinne des Narrativs …". Und sogleich zupackend der Interviewer: "Wäre es auch schlecht für das europäische Narrativ, für die EU als Ganzes?" usw. usf. Pech für den "Diskurs", in den wir uns doch, unterm Diktat der Postmoderne, so mühsam eingelebt haben.
Freitag, 18. Januar 2019
Einmal hatte ich die Phantasie … „dass ich über meine Bücher schreiben wollte. Eines nach dem andern aus dem Regal nehmen, darin blättern, ein paar Seiten lesen und nur, um mich zu erinnern, in einem oder auch mehreren Sätzen etwas zu diesem Buch festhalten, als eine Art Katalog, nicht zum Nachschlagen, sondern als unscheinbare Würdigung der oft über Jahre Vergessenen.“
Das war … eine Phantasie eben. Irgendwo auf diesem Portal festgehalten. Längst beseitigt. Unerwünscht und nicht realisierbar. Schön wär's aber trotzdem. Vielleicht, gemäss zunehmendem Alter, eher so: dass ich bei einem beliebigen Tablar beginne, die ersten paar Bände (ein halbes Dutzend zum Beispiel) herausnehme, eins davon wähle und ihm, stellvertretend für die Gruppe, einen Abdankungssatz widme. Und dann: aus dem Auge, aus dem Sinn. So müssten sich die Regale allmählich leeren, und der Rest meines Lebens wäre ein einziger Bestattungsritus. (Auskalkuliert hab ich's nicht!).

Donnerstag, 17. Januar 2019
Archiv. – Mein Bern-Tag. Die gleiche Arbeit wie zuhause, nur jetzt in einem Lesesaal und inmitten der Originale. Handschriften in Dossiers in Schachteln auf Wagen. Fein säuberlich. Gewohnheitsgast, dauerangemeldet. In den Blättern zu blättern ist ein Privileg und verdient Achtung. Die Arbeit wird hier ernstgenommen. So ernst, dass man sich nur flüsternd äussert. Man begrüsst sich flüsternd, bestellt flüsternd und verabschiedet sich flüsternd. Seitdem ich irgendwo gelesen habe, dass das Flüstern die Stimmbänder stärker beansprucht als lautes Reden, muss ich, flüsternd, ständig an meine Stimmbänder denken. Hoffentlich halten sie bis zum Abschluss meiner Arbeit durch.
Mittwoch, 16. Januar 2019
Journal. – Versuch mit einem Journal. Neuer Menüpunkt: Journal. Ein simples Arbeitsjournal, ohne Berücksichtigung eines Publikums. Vielleicht einfach, um auch das ein bisschen festzuhalten, was an den Rändern des Schreibens und Edierens anfällt und der gewohnten Seriosität zum Opfer fällt.