Dienstag, 24. Januar 2017
Den Witz der "personalisierten" Formbriefe kenne ich inzwischen zur Genüge: "Sehr geehrter Herr Titel Vorname Name". Und immer noch reagiere ich spontan so, als ob ich wirlich ganz persönlich gemeint wäre. Sogar bei Bettelbriefen fällt die Absage schwerer.
Und nun, weil's ja immer weiter gehen muss, der nächste Schritt: die Personalisierung der Inhalte von Druckwerken. Das Schwabe Magazin, Ausgabe 2017|1, gediegenster Mehrfarbendruck. Auf Seite 12 plötzlich, wie ein listiger Bubenstreich, nebenstehendes Bild. Die Broschüre also nicht nur mir ganz persönlich gewidmet, sondern eigens für mich gedruckt, versehen mit meinem Selfie. Ist es spießig, wenn ich das als anmaßenden Übergriff empfinde? Ich snowboarde nicht und lasse mir meinen Namen nicht an den Himmel heften. Auch nicht, und gerade dann nicht, wenn nur ich das zu sehen bekomme. [Hier folgt die ausführliche Begründung, die's jedoch nicht mehr braucht, weil mir gerade folgendes Detail aufgefallen ist:]
Meine ganz persönliche Seite 12 wird im Inhaltsverzeichnis folgendermaßen angekündigt:
Der Digitaldruck macht Print
persönlich und innovativ – Schwabe bietet
Ihnen neue Möglickeiten.
Genau getroffen! Eine richtig schön verunglückte Möglickeit!
Montag, 23. Januar 2017
Nooteboom. – 533 Tage. Was es mit dem Titel auf sich hat, habe ich noch nicht ganz begriffen. Ist vielleicht auch nicht so wichtig. Lehrreich und unterhaltsam sind die "Berichte von der Insel" aber allemal. "Meine" Bücher, etwas Geschichte und Zeitgeschichte, die Raumfahrt und Kakteen. Und wer erhält den Preis? Die Kakteen natürlich. Wenn alles – das All, das Wort, der Schöpfer, das Geschöpf – gleich viel gilt, dann gilt das Unscheinbare am meisten. Ich bin bereit, die Betrachtungen über Literatur, über die Berliner Mauer und über die Raumfahrt zu überspringen, um schneller (hier, wo's um Langsamkeit geht!) wieder zu jenen schweigenden, stacheltreibenden Wesen zu gelangen, denen der Autor mit den Kindesaugen eines Erwachsenen gegenübersteht. Nur hier, im hilflosen Versuch, dem Unzugänglichen mit Empathie zu begegnen, wird das Buch, Nootebooms Buch, zum Ereignis.
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Sonntag, 22. Januar 2017
Aufgrund Tausender über Nacht eingetroffener Verständnisfragen zum gestern mitgeteilten K.R.-Gedicht sehe ich mich veranlasst, in aller Eile eine Übersetzung der Mundartverse beizufügen (vorausgesetzt das noch einzuholende Einverständnis des Verlags und der Übersetzerin).
Avanti
Guardare avanti mai
guardare indietro
e poi d'improvviso
non saper più la strada non
poter più andar avanti
e d'un tratto fermarsi co-
me si fosse
caduti
in avanti in una
forra.
(Kuno Raeber. Poesie, a cura e con traduzione di Annarosa Zweifel Azzone. Lugano: ADV Publishing House 2016, S. 95. – Ein empfehlenswertes kleines Gedichtbuch mit spannender Gegenüberstellung von Originaltext und Übersetzung)
Samstag, 21. Januar 2017
Vorsi
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Vorsi |
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Vorsigluegt heder ond zvorderscht escher gschtande ond nië hed er henderegluegt ond deh of einisch heder nömme witer gwösst ond hed nömme försi chönne als hätter Angscht gha är wär schontsch eifach abe gheit vore abegheit enes Tobel. |
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Vorsi luege ond nie hendere luege ond deh of einisch nömme witer wösse ond nömme vorsi chönne ond schtoh blibe of einisch als wärmer schontsch vore abe- gheit enes Tobel. |
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(Notizbuch, 17. Nov. 1982) |
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(Abgewandt Zugewandt. Zürich: Ammann 1985) |
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Kuno Raeber (1922-1992)
Freitag, 20. Januar 2017 (am Tag der Trump'schen Inthronisation)
Ablenkung. – Irgendwann werde ich mich über K.R. äußern müssen. Jetzt, da die Tage der Lyrik nahen. Oder doch ein andermal, ausführlich oder auch nicht:
- über K.R., dessen Gedichte, die späten vorab, mich zum hinhorchen zwingen, ja zu bannen vermögen, wenn ich guter Laune bin.
- über K.R., dessen weltanschauliche Auslassungen zu Geschichte, Politik, Religion, zur Schweiz und ihrem Sprachdilemma mir den Tag vermiesen können (mit Grund!) – so dass ich dann (zu Unrecht!) sogar an der Lyrik zu zweifeln beginne.
Dabei bilden die Gedichte, obwohl aus dem gleichen unnachgiebigen Geist entstanden, "Oasen" (ein Topos von K.R.) in der "Wüste" (ebenfalls ein K.R.-Topos) der Überzeugungen. Nicht nur vereinzelte Zufluchten sind es, für dich und für mich, sondern unterirdisch vernetzte Systeme, deren rätselhaften Verästelungen gewissenhaft nachzuforschen wäre.
Soviel vorerst zu K.R., der fortan – ich gelob' es mir! – häufiger zu Wort kommen soll.
Donnerstag, 19. Januar 2017
Gemütliches Fumoir bei minus fünf Grad Celsius