Tagebuch April 2014

Mittwoch, 2. April 2014

Unendlicher Spaß (vgl. Dienstag, 25. März 2014 ff.). — Gut dazu passend: Die Uhren- und Schmuckmesse (Basler Privat-Jargon: Huren- und Schluckmesse. Nicht weitersagen!).
Basel im Okkupationszustand. Überflutet von schwarz verkleideten Aliens, die mit Kofferwägelchen durch die Stadt ziehn und alle Hotels, Restaurants und Imbissecken vom Badischen Bahnhof bis zum Bahnhof SBB in Beschlag nehmen. Gestyltes Vielerlei mit Trippelstöckelschuhen, Japanisches, Russisches, weissnichtwas. Die Einheimischen haben sich in ihren Wohnungen verbarrikadiert oder diese, außer Landes fliehend, für viel Kohle vermietet. Unendlicher Spaß.

Eine Miesepeter-Frosch-Perspektive, wie ich zugebe, denn Baselworld macht Basel zur «Weltstadt mit Herz», wie mich Vogel Gryff, mein Kleinbasler Leibblatt, berichtigt. Friede Freude Eierkuchen. Nur ein paar Bewohner haben ihren Abfall «exakt zur Messezeit am falschen Tag vor die Türen» gestellt, was dem Vogel Gryff missfallen hat.
 

Donnerstag, 3. April 2014

Urs Widmer gestorben – gestern, 2. April.

Ohne ihn persönlich gekannt zu haben, bin bin ich wie ein bißchen erleichtert, dass ich sein letztes Buch (Reise an den Rand des Universums) noch 'zu seinen Lebzeiten' gelesen habe.
 

Sonntag, 6. April 2014

Basler Zoo. — Geplant: Sonntagsausflug zum Hörnli Friedhof, wo man (als noch Lebender) so schön, bergauf bergab, zwischen den Toten spazierengehen kann. Kaum gestartet, treffen wir an der ersten Ecke auf Freunde, die uns mit zum Zoo schleppen. Zwei Mal AHV, ein Mal Rollstuhl, ein Mal normal. Ich schiebe V., die sich bei einem Sturz vom Schlitten das Bein gebrochen hat, im gemieteten Rollstuhl von Gehege zu Gehege. Vier oder fünf oder wieviel Junge bei den Löwen. Sie liegen eng aneinandergeschmiegt da und schlafen. Babys zum Nachhause-Nehmen. Die Mütterherzen unter den Publikumsherzen schlagen höher. Auch die Alten dösen vor sich hin. Stinkfaule Bande. – Dagegen die Nashörner, tonnenschweres Urgestein. Auch eine Familie. Sie gehen umher auf leisen, wie mit Lumpen umwickelten Sohlen, rennen manchmal ein wenig, spielen Zweikampf und scheinen insgesamt wohlauf und munter. – Und dann die Flamingos (Phoenicopteridae), Schaarentiere, die bequemerweise stehend auf einem Bein schlafen und wenn sie sich hinlegen beide Beine wie zwei Stöcke zusammenklappen.
 

Montag, 7. April 2014

Filmer und Autor Peter Liechti am Freitag gestorben.

Noch immer habe ich keinen seiner viel gerühmten Filme gesehen.
Aber lesen hörte ich ihn, am 7. Dezember im St. Galler Vexer Verlag, aus Klartext, Fragen an meine Eltern. Und selber gelesen habe ich das ebenfalls im Vexer Verlag erschienene Buch Lauftext – ab 1985. «Ein ungemein sympathisches Buch ist es, erzählend und räsonierend von Einem, der – gottlob – noch immer nicht angekommen ist.» Das habe ich geschrieben, nach der Lektüre. Und auf eine Fortsetzung gehofft: «noch immer nicht angekommen.» Jetzt ist er einfach weggegangen.
 

Freitag, 11. April 2014

Paul Chan: Contents. Gewaltige, überbordende Ausstellung im Schaulager, Basel. Chan: ein 1973 in Hongkong geborener, in New York lebender Allround-Künstler, Autor und Verleger. Und zudem: ein philosophierender amerikanischer Metaphysiker, der sich der griechischen Antike verprlichtet glaubt – als ob so etwas möglich wäre!

chan pult

Font Table 1, 2013
Table with laser print on paper
Courtesy the Artist and Greene Naftali, New York

 

Vielleicht sollte etwas gesagt werden zu Chan's System der Alternumerik, das den einzelnen auf der Tastatur zu tippenden Buchstaben und Zahlen textuelle und graphische Fragmente zuordnet, wodurch das unendliche Universum des zu Erschreibenden auf eine überblickbare Sammlung wiederholbarer Entitäten reduziert wird.
 

Beispiel: Der Oh Juliette-Font

a →  fuck me     e →  yes     i → oh god
b → jesus   f → more   k → christ
c → so hard   g → keep going   l → please
d → there   h → yes yes   m →  so wet

 

Oh love me!

(Oh Juliette-Font)        (Oh Gertrude-Font)
you pig yes yes   We welcomed
please more   until blue
so huuuge   in hues
yes   petting in pink
so wet yes   and me on top
aw   and me

Sonntag, 13. April 2004

Jetzt kommen auch noch Martin Heideggers Schwarze Hefte über uns und versetzen unserm Glauben an den «größten» Philosophen des 20. Jahrhunderts den endgültigen Todesstoß. Gesamtausgabe, Bd. 94, S. 111 («Aus der Zeit des Rektorats», 1933):

Die große Erfahrung und Beglückung, daß der Führer eine neue Wirklichkeit erweckt hat, die unserem Denken die rechte Bahn und Stoßkraft gibt. Sonst wäre es bei aller Gründlichkeit doch in sich verloren geblieben und hätte nur schwer zur Wirkung hingefunden.