Glossen

Gottfried Keller – rassenrein

Erst neulich ist mir, zum zweite Mal, ein sehr sinistres Büchlein in die Hände gefallen:

Gottfried Kellers Ahnen- und Sippschaftstafel (1929).

Ein Separatdruck des Archivs der Julius Klaus-Stiftung für Vererbungsforschung, Sozialanthropologie und Rassenhygiene, verbrochen von Otto Schlaginhaufen, Lehrstuhlinhaber für Anthropologie an der Universität Zürich. Die Broschüre schließt mit den Sätzen:

Der Gesichtspunkt der erbbiologischen Personenforschung war es, der mich bewog, den Ahnen Gottfried Kellers nachzugehen. […] Wenn es mir gelungen sein sollte, diese Vorarbeit für die erbbiologische Erforschung der Merkmale, die sich zur Eigenart des gottbegnadeten Dichters vereinigten, geleistet zu haben, so wäre der Hauptzweck dieser Schrift erfüllt.

Wenn Keller das gewusst hätte!
Die Universität hat es gewusst. In der Festschrift zur Jahrhundert-Feier (1938 erschienen) wird mit Stolz und Dankbarkeit vermerkt:

Der am 19. Febr. 1920 in Ober-Uster verstorbene Jul. Klaus stiftete sein Vermögen von ca. 1¼ Millionnen Franken für Vererbungsforschung, Sozialanthropologie und Rassenhygiene: die sogen. Jul. Klaus-Stiftung. Wenigstens 5 der 7 Mitglieder des Kuratoriums gehören dem Lehrkörper der Zürcher Universität an. Dank dieser Stiftung wurden das Anthropologische Institut (Prof. Schlaginhaufen) und das Institut für allgemeine Botanik (Prof. Alfr. Ernst) zu aktiven Mittelpunkten für Rassenkunde und Vererbungslehre.
(Die Universität Zürich 1833-1933 und ihre Vorläufer. Festschrift zur Jahrhundertfeier hrsg. vom Erziehungsrate des Kantons Zürich. Bearbeitet von Ernst Gagliardi u.a. Zürich 1938, S. 905).

Noch zur 150-Jahr-Feier (1983) werden, ohne jeden kritischen Unterton, Otto Schlaginhaufen "besondere Verdienste um die genetische Forschung" (S. 577) nachgerühmt.
(Die Universität Zürich 1933-1983. Hrsg. vom Rektorat der Universität Zürich. Zürich 1983).

Schlaginhaufen war bis 1951 Direktor des Anthropologischen Instituts und bis 1968 (!) Präsident der obgenannten Zürcher Stiftung, die sich heute «Stiftung für Genetik und Sozialanthropologie» nennt. Die schweizerischen Rekrutenprüfungen erlaubten es Schlaginhaufen, zwischen 1927 und 1932 anthropometrische Vermessungen an über 35'000 Stellungspflichtigen vorzunehmen. Diese Messungen betrafen die Körpergröße, Gesichts- und Nasenproportionen, Haar- und Augenfarbe. Das schweizerische Rassenproblem blieb dabei allerdings ungelöst. Wider Erwarten ließen sich über 90% der untersuchten Fälle überhaupt keiner der angenommenen Rassen zuordnen, und schon gar nicht der «alpinen Rasse», die als kleinwüchsig, braunäugig und breitnasig definiert worden war.

Was Gottfried Keller anbelangt, haben Schlaginhaufens akribische Nachforschungen in Kirchen- und Familienbüchern zumindest das Resultat erbracht, dass der Name von Kellers Großmutter mütterlicherseits nicht – wie in den Biographien behauptet – Cato Rägis, sondern Elisabetha Margareta Rägis lautete.

Im Limmat Verlag ist 1995 eine spannende und informative «biographische Reportage» von Christoph Keller erschienen: Der Schädelvermesser. Otto Schlaginhaufen – Anthropologe und Rassenhygieniker. Interessant sind vor allem auch die Berichte über die von Deutschen Ideologen dominierten anthropologischen Kongresse, wo Schlaginhaufen sich durch faktenorientierte Zurückhaltung ausgezeichnet haben soll.

Eine weitere Arbeit über den Anthropologen ist 1990 als Dissertation im Medizinhistorischen Institut der Universität Zürich erschienen: Urs Peter Weilenmann: Der Anthropologe Otto Schlaginhaufen. Das schmale Heftchen ist allerdings von solch ausnehmender Dürftigkeit, dass es in den Geisteswissenschaften kaum als Seminararbeit durchgehen dürfte. (Antragsteller bei der Medizinischen Fakultät: Prof. Dr. med. Beat Rüttimann).